Singekrieg von Borgholz
Ereignis-Datum: 1. Juni 1809
Die Altsinger oder der Singekrieg von Borgholz
Lustiges und doch ernstes Vertelleken aus der Kirchenchronik der alten Titularstadt Borgholz.
Im Jahre 1810 ereignete sich in Borgholz ein Vorfall, der für viele Bewohner die betrüblichsten Folgen nach sich zog. Am ersten Sonntag im April, als man wiederholt eine alte Frau, die Witwe Wollust, wegen Altsingens arretiert hatte, entstand ein Tumult im Orte. Die Einwohner kamen, ohne zu wissen warum, auf den Straßen zusammen, und mehrere verfügten sich nach der Behausung des damaligen Maire (Bürgermeister) Waldeyer, wo sich die arretierte Frau befand. Sie verlangten unter lauten Drohungen, daß die alte Frau wieder in Freiheit gesetzt würde. Der Zorn des Pöbels wurde dabei immer heftiger. Einige gingen in die Kirche, holten die Nummerntafeln, worauf die neueingeführten Gesänge verzeichnet waren, heraus und zerschlugen sie, worauf der Küster aus Furcht in die Sakristei flüchtete. Die Wut ging so weit, daß selbst drei zu Pferde sitzende Gendarmen, den Säbel gezogen, die Pistole in der Hand, nichts ausrichten konnten und unverrichteter Sache abziehen mußten.
Die Witwe Wollust wurde auf freien Fuß gesetzt, und am nächsten Morgen beim Gottesdienst fuhr die ganze Gemeinde fort, mit lauter Stimme ihre lieben, alten Kirchenlieder in plattdeutscher Sprache zu singen. Immer aufs Neue setzte die Orgel ein zum Spiel der neuen, hochdeutschen, vom Pfarrer Tielmann [Tillmann] in Erkeln verfassten Gesänge. Der Schulmeister stimmte immer wieder zu dem Choral „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr!“ an, und immer wieder sang das gläubige Volk unten im Kirchenschiff mit begeisterter, dröhnender Stimme: „Hei out düsse deipen Koulen / Raupe ikk tau dikk, o Heer! / Hör mein Jalpern!“
Der Kantor fauchte vor Wut, fing von neuem an zu präludieren, das Volk aber sang mit lauter Stimme: „Hör mein Jalpern!“ Es war unmöglich, den Gottesdienst zu Ende zu führen. Die Erregung des Volkes machte sich in einem erneuten Tumult Luft. Unter lautem Schimpfen und Johlen drängte die Menge auf den Kirchplatz hinaus. Männer, Frauen und Kinder, ja selbst die alten Leute eilten aus dem Dorfe herbei. Die einen sangen ihre plattdeutschen Melodien, die andern reckten drohend die Fäuste in den Himmel und riefen: „Wo is düsse verdammte hochduitske Magister? Schlohet dien Hund mit de Nummertofel dein Schedel in! “ Der Kantor aber saß, am ganzen Leibe zitternd, in der Sakristei und „bereitete sich auf sein letztes Stündlein“ vor.
Noch einer wagte sich an jenem Morgen nicht über die Schwelle seines Hauses, der Maire Waldeyer. Aber insgeheim schickte er einen Boten nach Kassel, um die Aufsässigen gewaltsam zur Ruhe zu bringen. Höheren Ortes war man empört über die Rückständigkeit der Borgholzer. Und es dauerte nicht lange, bis eine Kompanie Grenadiere vom 5. Westfälischen Infanterie- Regiment und 30 Grenadiere unter dem Kommando eines Oberstleutnants als Exekution einrückten. Zugleich kamen der Oberpräfekt Reimann aus Kassel und der Präfekt von Metternich aus Höxter. Mehrere Einwohner, namentlich Diedrich, Kornhoff, Heinrich Redeker usw., auch aus dem Filialorte Natingen, welche gleichfalls bei dem Auflauf tätigen Anteil genommen hatten, wurden auf „Wagens“ nach Höxter geschleppt und dortselbst zu nicht unbedeutenden Geldstrafen verurteilt.
Die ganze Exekution in Borgholz und Natingen dauerte 8 Tage. Beim Abzug ebengedachter Truppen mußte jeder Quartierträger jedem Einquartierten Linnen zu einer Hose und ein paar Schuhsohlen geben. Und, so schließt der Chronist seinen Bericht: „Wenn es auch wahr ist, daß der friedliche Einwohner sich zu solchen Verordnungen nicht hergeben muß, so scheint dies unglückbringende Ereignis durch ein frommes Mißverständns bedingt zu sein. Vorgenanntes Ereignis war für viele Bewohner von Borgholz und Natingen sehr hart, und man war späterhin der Meinung, daß die Einführung dieser neuen Kirchengesänge wohl nach und nach recht gut auf gütlichem Wege hätte geschehen können und die angewandten Maßregeln nicht für nötig erachtet würden.“
Dieses historische Ereignis wurde 2010 in einem Theaterstück „Der Singerkrieg von Borgholz“, in drei Akten, von Laienschauspielern nach dem Drehbuch von H. Multhaupt, aufgeführt.