Bahnhof Borgholz
Planung und Streckenbau
Initiatorin des Bahnprojekts war die Bergisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft (BME), die zusammen mit der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft (BPME) die in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Braunschweigische Staatseisenbahn übernommen hatte. Um aber auf ausschließlich eigenen Gleisen am lukrativen Ost-West-Fernverkehr partizipieren zu können, bedurfte es eines Lückenschlusses zwischen der ebenfalls von der BME gebauten „Oberen Ruhrtalbahn“ Schwerte – Warburg in Scherfede und der braunschweigischen Weserstadt Holzminden.
Bezogen auf Borgholz verlief die Strecke rund einen Kilometer südlich des Ortskerns. Da hier zunächst keine Station vorgesehen worden war, stellten die lokal Verantwortlichen und mehrere umliegende Gemeinden bereits 1873 den Antrag, dort zumindest eine Haltestelle einzuplanen. Die BME lehnte diesen aber aus wirtschaftlichen Erwägungen ab und auch der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Berlin vermochte trotz der von Borgholzer Seite angeführten rund 8.000 im Einzugsbereich lebenden Menschen „hierfür ein dringendes Bedürfnis nicht zu erkennen“.
Anfang 1874 kam es zu Entschädigungsverhandlungen mit allen vom Streckenbau betroffenen Grundstückseigentümern. Um den Verkehr auf der zunächst eingleisigen Strecke möglichst flexibel durchführen zu können, wurde in Borgholz immerhin ein Überholgleis angelegt. Die offizielle Eröffnung des Verkehrs fiel auf den 15. Oktober 1876 und nun war hier auch das neu eingelegte Schnellzugpaar Berlin – Aachen auf der Durchreise zu erleben.
Genehmigung und Bau des Bahnhofes
Rund eineinhalb Jahre nach Betriebseröffnung hatte man an höherer Stelle doch noch ein Einsehen und teilte dem Borgholzer Bürgermeister am 21. April 1878 mit, dass bereits mit Einführung des Sommerfahrplans zum 15. Mai eine Haltestelle eingerichtet werden sollte. Deren längerfristige Nutzung wurde allerdings von einer ausreichenden Inanspruchnahme und etwaigen Problemen im Betriebsablauf, vor allem bei den bergwärts fahrenden Zügen, abhängig gemacht. Den Billetverkauf übernahm nun der nebenan wohnende Wirt August Bröker, dessen Lokal gleichzeitig auch als Wartesaal diente.
1881 ersuchte Borgholz beim Ministerium um die Einrichtung einer Güterhaltestelle und auch diese sollte Wirklichkeit werden: Die Direktion in Elberfeld sagte deren Bau unter der Bedingung zu, dass die Interessenten 9.000,- Mark und damit das Gros der zu erwartenden Kosten übernahmen.
Aufgenommen wurde der Wagenladungsverkehr am 6. Oktober 1883 und da sich das Geschäft gut anließ, wurde im Jahr darauf auch ein Güterschuppen errichtet und der Personenzughalt zur Trennung der Verkehrssparten auf die gegenüberliegende Südseite verlegt, auf der auch das in Klinker-Fachwerk-Bauweise ausgeführte Empfangsgebäude seinen Platz fand. Aufgrund der sich an jene der Oberen Ruhrtalbahn anschließenden Kilometrierung wurde seine Position mit Kilometer 301,9 angegeben. Damit war acht Jahre nach Aufnahme des Betriebs nun doch ein vollwertiger Bahnhof entstanden, dessen Einzugsgebiet insgesamt elf Gemeinden von Borgentreich bis Manrode und von Tietelsen bis zu den Heggedörfern umfasste.
Bahnhofsbetrieb
Spätestens durch den zwischen 1905 und 1907 doch noch vorgenommenen zweigleisigen Streckenausbau standen dem Reiseverkehr ein Haus- und ein Zwischenbahnsteig zur Verfügung und kurz darauf erhielt der Bahnhof den prominentesten Besuch seiner Geschichte. Am Morgen des 9. September 1907 nämlich machte hier ein aus Kassel eingetroffener Sonderzug Station, dem sowohl Kaiser Wilhelm II. als auch der russische General Großfürst Nikolai Nikolajewitsch entstiegen, um anschließend von hier aus zum Kaisermanöver in Richtung Auenhausen (Hegge) zu reiten.
Der Zweite Weltkrieg bescherte der Strecke einen enormen Zuwachs vor allem im Durchgangsgüterverkehr, machte sie aber auch wiederholt zum Ziel von Luftangriffen. Aber erst nachdem am 7. April 1945 die auf dem Rückzug befindliche Wehrmacht alle im Raum Höxter/Holzminden befindlichen Weserbrücken und damit auch jene in Fürstenberg zerstört hatte, kam es zur Unterbrechung des Verkehrs, so dass bis September 1946 Pendelverkehre der Relationen Scherfede – Borgholz – Dalhausen und Holzminden – Fürstenberg eingerichtet werden mussten.
Die veränderten politischen Rahmenbedingungen, die eine Drehung der Verkehrsströme in die Nord-Süd-Achse nach sich zogen, ließen die Strecke nun erneut und nachhaltig ins Abseits geraten.
Zwar unternahm die DB noch den Versuch, durch die Einrichtung zusätzlicher Haltepunkte zwischen Wehrden und Scherfede sowie den Einsatz von Schienenbussen das Angebot gleichsam für die Kunden attraktiver und im Betrieb günstiger zu machen. Die erhoffte Mehrnutzung aber blieb aus und auch der Fernverkehr der Relation Aachen – Köln – Scherfede – Berlin sollte binnen absehbarer Zeit zu einem Eilzugpaar von Braunschweig nach Köln schrumpfen.
Trotz verringerter Gleisanlagen wies die auch noch ihrer Kleinlok verlustig gegangene Station bisweilen ein hohes Güteraufkommen auf. Noch in den 1950er Jahren gab es umfangreiche Kartoffeltransporte, bei denen innerhalb von sechs Wochen 360 Güterwagen anfielen. Als weitere Versandgüter wurden Grubenholz, Heu und Stroh (vor allem zur Pappenfabrik in Warburg und zur Papierfabrik in Wrexen) verladen. Hinzu kamen die herbstlichen Zuckerrübenkampagnen mit fünf Wagen pro Tag, zeitweilig Korbwaren und Kleinmöbel aus Dalhausen sowie hier an der Ladestraße geschälte Tannen- und Fichtenstämme für die Papierfabrik Feldmühle in Bielefeld-Hillegossen. Im Empfang dominierten lange umfangreiche Kohlelieferungen und zur Phase des Wohnungsbaus die Anlieferung von Bimssteinen.
War der Bahnhof lange mit Übergaben aus Ottbergen bedient worden, so war hierfür später Holzminden zuständig. Zu den größten Lieferungen zählten Mitte der 1970er Jahre drei pro Jahr für das Kornhaus bestimmte Güterzüge mit Düngemitteln. Außer Betrieb ging in diesem Jahrzehnt allerdings die bisher für die korrekte Beladung und Abrechnung der Wagenladungen unerlässliche Gleiswaage.
Rationalisierung und Rückbau
Im Zuge der Rationalisierung verlor Borgholz zum 26. September 1976 seine Abfertigungsbefugnisse für Gepäck und Expressgut und knapp sieben Jahre darauf auch seine Funktion als Start- bzw. Zielbahnhof für den Personenverkehr.
Fast genau ein Jahr darauf war generell Schluss mit dem Personenverkehr. Aus diesem Anlass legten dann aber sogar die letzten Eilzüge noch ein paar außerplanmäßige Halte in Borgholz ein. Der letzte reguläre Personenzug verließ den Bahnhof am 2. Juni 1984 um 16:45 in Richtung Scherfede.
Die Strecke wurde nun in eine Nebenbahn mit Zugleitbetrieb umgewandelt und dadurch der Weg für weitere Rückbauten bei der Infrastruktur geebnet. Doch die Geschichte des Bahnhofs war noch keineswegs vorbei, fungierte Borgholz doch weitere acht Jahre als Anschlussstelle im Güterverkehr. Neben der Kohlenhandlung Tewes, die bis zuletzt noch 800 Tonnen Kohle pro Jahr auf der Schiene erhielt, wurde die am Bahnhof angesiedelte Möbelfabrik Decker zum letzten bedeutenden Güterkunden. Dennoch bot die DB die Strecke zum Kauf an: 250.000,- Mark für das Gelände und 600.000,- Mark für die Gleise – ein Angebot, das zunächst nicht wahrgenommen wurde. Der Güterverkehr wurde zum 31. Mai 1992 beendet.
Bahnhofsmuseum
Das Empfangsgebäude und große Teile des übrigen Bahnhofsareals wurden im August 1984 vom Fahrdienstleiter Erich Menke erworben. Zusammen mit zahlreichen Helfern und unter großem finanziellem Aufwand renovierte er den Bau in vierjähriger Arbeit von Grund auf und richtete hier ein Museum ein, das sich in bisher einzigartiger Form der Geschichte des Bahnhofs und der gesamten Strecke widmete. Eine weitere Besonderheit war, dass Stellwerk, Warteraum und Fahrkartenschalter original erhalten geblieben waren und auch bei den übrigen Exponaten bzw. Ausstattungsmerkmalen größtmöglicher Wert auf Authentizität gelegt wurde. Und mit dem Eigentümer selbst veranstaltete hier jemand die Führungen, an dessen Kenntnis der lokalen Geschichte niemand sonst heran reichte.
Darüber hinaus wurde im Außengelände ein kleiner Fahrzeugpark aufgebaut, zu der mehrere Fahrraddraisinen, eine Handhebeldraisine, eine 1956 gebaute Deutz-Diesellokomotive und ein Straßenbahnwagen als Bistro gehörten.
Für sein „Lebenswerk“ erhielt Erich Menke am 30. März 2000 das Bundesverdienstkreuz. Nach seinem Tod im Februar 2006 führte sein Sohn Hans-Josef Menke das Museum allein fort.
Persönliche Gründe und mangelndes Interesse von Kommune und Kreis, die sogar eine Schenkung des gesamten Museums ablehnten, brachten dann aber nach rund zwei Jahrzehnten das Aus.
Offiziell geschlossen wurde das Museum zum 22. Juni 2009, es stand danach jedoch weiter gelegentlichen Besuchern offen. Zahlreiche Exponate wechselten anschließend die Besitzer und so kam es auch zum Ausbau der 90 Jahre alten Stellwerks-Technik, die vom Förderkreis Industriekultur Ennepetal e.V. übernommen wurde und dort weiterhin musealen Zwecken dient.
Private Nutzung der Bahnhofsanlage
Nach dem Abriss der Straßenüberführung am Ostkopf des Bahnhofs zum Jahresende 2003 war östlich davon als letzte überhaupt die ehemalige Einfahrweiche aus Richtung Dalhausen übriggeblieben Auch fast alle Schienen wurde im Laufe der Zeit abgebaut. Nachdem im Januar und März 2011 die letzten beiden vor Ort befindlichen Schienenfahrzeuge abtransportiert worden waren, standen das Bahnhofsgebäude und zahlreiche weitere Ausstellungsstücke weiterhin zum Verkauf. Zudem zeigte sich mittlerweile fast die gesamte einstige Fernstrecke gleislos und wurde bereits abschnittsweise in einen Radweg umgewandelt.
2016 wurde der Bahnhof an einen neuen Besitz verkauft. Dieser sorgte durch die abermalige Sanierung / Renovierung dafür, dass das Gebäude für die Nachwelt erhalten bleibt.
Der ehemalige Bahnhof/Museum ist einer neuen Nutzung zugeführt worden und ist nun nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich.
Auszüge aus Buch “Die Strecke Scherfede – Holzminden” von Garrelt Riepelmeier
Fotos und Beratung von Hans-Josef Menke